Lieber Mensch,
wie aktiviere ich den anderen - damit der andere innerlich aktiv wird? Wie rege ich die Selbstheilungskräfte des anderen an? Ich wende mich in diesem Blogartikel besonders an die an Krebs erkrankten und ihre Familien und zugleich an all die anderen Helfer und Heiler, die Freunde, Ärzte, Seelsorger und Psychotherapeuten - um punktuell hinzuweisen, wie psychische Veränderungen helfen können, das so gefährdete Immunsystem des Patienten zu stärken.
Ich meine, dass wir fast alles von dem anderen, dem Kranken lernen. Es lohnt sich sehr sorgfältig zuzuhören, statt alles besser zu wissen. Das Potential zur Heilung liegt im Inneren, im Innerlichen, in der Natur des Kranken. Die Natur heilt - der Arzt schneidet, näht, bestrahlt, verordnet Medizin. Doch noch nie hat ein Arzt irgend jemanden geheilt - es war immer der natürliche Organismus selbst, der heilte - SICH SELBST.
Hoffnungslosigkeit und Dauerstress
Sehr wichtig erscheint mir immer wieder dieses: Der Tumor ist nicht die Krankheit, sondern nur ihr Symptom. Eine Frau sagte einmal zu mir:"Der Krebs, das ist, wie ich lebe." Welch´Erkenntnis! Diese Erkenntnis wird aber nur Kraft entwickeln, wenn sie vom Kranken selbst erkannt wird. Hilfreich auf diesem Weg sind geistige und körperliche Übungen, die zu einem wachsenden Gefühl von Präsenz führen. Gemeinsam beschäftigen wir uns mit gesellschaftlichen Normen und Wertesystemen, der Klient überprüft oder erarbeitet oft zum ersten Mal seine Werte, seine ganz persönliche Ethik. Dies und die zunehmende körperliche Präsenz führen zur Erkenntnis, wie sehr dieser abhängig ist von den Rückmeldungen anderer Menschen ( ... "was sagen die Leute") für die Bestätigung seines Selbstbildes. Durch den Versuch jemand zu sein, der ich nicht bin, durch übermäßige Anpassung, durch Selbstverleugnung, hierdurch Liebe zu "bekommen", ist hoffnungslos und führt zu einem Leben in Dauerstress. Also, die Abwehrmechanismen - Verleugnung, Unterdrückung, Verdrängung, Verschiebung führen zu seelischer und körperlicher Kontraktion, Zusammenziehung.
Verlust
Ebenso kann der Verlust eines anderen Menschen Auslöser der Krankheit sein. Das Fehlen von wichtigen Bezugspersonen, das Ausbleiben von tragfähigen Bindungen in früher Kindheit schwächen die Beziehungsfähigkeit eines heranwachsenden Menschen. Und solange dann eine eingegangene Verbindung bestehen bleibt, kann die frühkindliche Verzweiflung verdrängt werden. Wenn dann die geliebte Person oder das sinngebende Objekt wegfällt - durch Verlust oder Wegfall illusionärer Hoffnungen und des dann erlebten Stresses bei der Unterdrückung der aktuellen Verzweiflung, kann dies zu einem Zusammenbrechen des Immunsystems führen.
Krankheitsgewinn und Beachtung
Gewinnt der Kranke etwas? Kann das sein? Und wenn ja, was? Hier wird unterschieden zwischen primärem und sekundärem Krankheitsgewinn. Unter primärem Krankheitsgewinn versteht man die unmittelbar mit der Krankheit verbundenen Vorteile, wie körperliche Schonung, Ruhe und Entlastung. Also: Etwas fällt weg. Der sekundäre Krankheitsgewinn ist nicht unbedingt mit der Heilung der Krankheit verbunden, sondern beispielsweise das Erfahren des Bedürfnisses nach Beachtung. "Mein Mann merkt plötzlich, dass es mich auch noch gibt", "Ich hätte nie gedacht, dass so viele Leute mich besuchen." Ich meine, Beachtung allein ist schon heilsam, ein Therapeut oder Arzt, der seinem Patienten wirklich Beachtung schenkt, kann schon viel bewirken.
Lieber Mensch, hier an dieser Stelle möchte ich dich einladen zu einer Übung - jetzt gleich: Stell dir einen Menschen vor, deine Partnerin, einen Freund, eine Freundin, deinen Vater und blick´ ihm oder ihr in die Augen und sage: "Bitte schau mich an! Bitte höre mir zu! Bitte nimm mich in den Arm!" Welche Gefühle erschaffst du in diesem Moment in dir? Wird dir warm ums Herz oder schrumpfst du?
Autonomie und Spiritualität
Eine der wichtigsten Faktoren in der Auseinandersetzung mit jeder Krankheit scheint die Thematik der eigenen Autonomie zu sein. Aktive Auseinandersetzung mit der Krankheit und ein radikales Annehmen von "das ist meine Krankheit - es ist meine Aufgabe, den Sinn zu erforschen und zu verstehen - es ist meine Aufgabe, meine Lebensumstände so zu verändern, dass ich in ihnen heilen kann." Ein zunächst vielleicht befremdlicher Krankheitsgewinn kann auch das spirituelle Erwachen des Kranken sein. Diese Menschen erfahren in Momenten der Diagnose oder in der Zeit danach sogenannte Gipfelerlebnisse - Erfahrungen außerhalb jeder konditionierten Realität - Erfahrungen von bloßer Präsenz, verbunden mit paradox erlebter Glückseligkeit, von Einverstandensein, völliger Angstfreiheit.
Wendepunkt
Ich darf immer wieder erleben, dass wenn das gesamt (Um-) Feld um einen an Krebs leidenden Menschen mobilisiert wird, sich eines dieser beiden Dinge ereignet. Das Leben mancher Kranken kann verlängert werden, und zwar nicht, indem sie mit allen Mitteln am Leben gehalten werden, sondern damit diese sich selbst intensiver erfahren und sich und ihre Träume erkennen und oft auch ihre Erfüllung erleben. Und dann gibt es das Geheimnis, das Mysterium von Heilung und Gesundung. Kein Hexenwerk, keine Zauberei, sondern Überzeugung, Vertrauen, harte Arbeit führen dazu, dass der Krebs zu einem Wendepunkt, zu einem Neubeginn im Leben des Patienten wird.
Mögliche Wege
Gewöhnlich lauten Fragen in therapeutischen Prozessen: Was fehlt dem anderen? Wie kam es dazu? Was ist zu tun? Diese Fragen allein können zu sehr guten, effektiven Ergebnissen führen. Aber nicht bei Krebspatienten. Dies allein reicht hier nicht, denn sie tragen einfach nichts zur Stärkung der Selbstheilungskräfte eines Menschen bei.
Lieber Mensch, heilsamer erscheinen mir diese Fragen: Was ist mit dir richtig und in Ordnung? Welche Formen des Seins, der Beschäftigung und der Beziehungen entsprechen dir? Welches Lied willst du singen, um abends zufrieden zu Bett zu gehen und dich auf den nächsten Tag zu freuen? Wie können wir beide miteinander arbeiten, um diese Formen zu finden? Was ist es, das dich bisher an einem erfüllten Leben gehindert hat? Genauer gesagt, wodurch hast du dich selbst gehindert? Wie soll unsere Zusammenarbeit aussehen, dass du zunehmend dich selbst erlebst und ausdehnst, so dass ich überflüssig werde? - Denn dann fließt die Energie - welche? DEINE! George Gurdjieff findet dafür folgende Worte:
In diesem Sinne. Nur Mut.
Herzlichst, Ihre und deine