"Tage der Stille" Gastartikel und SELBSTerfahrungsBERICHT eines Meditierenden
Lieber Mensch,
dieser Text unten ist eine bearbeitete Email, die ich an Susanne schrieb. Susanne schreibt immer, lieber Mensch. Also tue ich dies auch. Lieber Mensch, vielleicht hast du Freude an meinem Bericht.
Herzliche Grüße, Raoul
„Du kannst zufrieden sein“ sagte ich mir so oft. Einen guten Job und genügend von so Vielem. Woher aber dann meine Unruhe? Und woher meine Wut? Diese Wut begleitete mich mein Leben lang, heute bin ich 36 und sie tut es noch. Ich zerstörte mit ihr Dinge und Beziehungen, wenn die Wut hochkam, ich schrie und es gab stets Gründe von außen. Ich stellte mir oft die Frage, wozu das alles gut sein sollte, was hatte das Leben mir zu bieten? Heute, nach fast einem Jahr „Arbeit“ an mir, kann ich sagen, dass hinter all der Wut andere Gefühle waren, nämlich Traurigkeit und Verletztheit, Angst und Verzweiflung. Mein Leben war ein einziger Kampf gegen die Ohnmacht und es fehlte an Tiefe und Essenz. Und so begann ich vor einem Jahr bei Susanne mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, versuchte unbewussten Mustern auf die Spur zu kommen und mich mit Meditation zu beschäftigen und diese täglich zu praktizieren.
Der Höhepunkt meiner Meditationspraxis und gleichzeitig die größte Herausforderung waren die „Tage der Stille“. Die Herausforderung für mich waren nicht die anderen und auch nicht das Schweigen, sondern die Begegnung mit mir selbst. Mein Wollen und meinen Kampf endlich sein zu lassen. An einem Abend saß ich allein an der See. Die Regentropfen fielen ins Wasser. Ich erkannte, da war eigentlich schon alles enthalten: dieses ständige Wandeln der äußeren Form, ein ewiges Verlieren in sich selbst. Und als ich dann auf dem Rückweg an einem Kompost vorbeikam: die Gewissheit, dass alles sich nur in sich selbst verlieren kann. Und später beim Sitzen: dass alles überhaupt aus demselben lebt und dass es überhaupt nichts geben kann, was außerhalb sein kann. Eines Nachts, wo ich beim Sitzen den Eindruck hatte, ich trete heraus aus dem, der da sitzt und betrachte mich selbst. Aber was war das, was da austrat? Und wer blieb sitzen?
Tagsüber meditierten wir im Sitzen und der Klang einer Schale kündigte uns den Beginn und das Ende an. Die letzte Meditation spät abends lagen wir auf dem Rücken auf dem Boden und jeden Abend ertönte zum Meditationsende die Stimme von Krishna Das mit dem „Mere Guru Dev“. Nach Stunden im Schweigen hörte ich jeden Abend wie neu diesen warmen Gesang. Währenddessen ging Susanne von einem zum anderen Liegenden, kniete sich hinter diesen und ein Hauch von Ölduft erreichte unsere Nasen. Warme, kräftige Hände strichen und massierten für wenige Momente unsere Nacken, legten sich sanft um unsere Schläfen, Daumen strichen über unsere Stirn und Hände drückten unsere Schultern fest zu Boden unseren Brustkorb damit öffnend.
Als ich wieder nach Hause kam, war ich verändert. Ich war ganz durchdrungen von Zärtlichkeit. Eines Morgens bin ich plötzlich in Tränen ausgebrochen und habe gefühlt, wonach sich mein Herz das ganze Leben gesehnt hat. Ich habe gespürt, dass eigentlich alles da ist, aber dass ich bisher daran vorbeigelaufen bin. Mit mir ist Tiefgreifendes passiert. Danke.