Liebes Menschenwesen,
„Bleibe nicht am Boden heften,
frisch gewagt und frisch hinaus!“
bevor du weiterliest, so bitte ich dich, weite dein Herz, deine Seele und deinen Verstand, also deinen ganzen inneren Raum und lausche meinen Worten und lass alle Begrifflichkeiten wie neu und frisch auf dich wirken.
Unterschiede?!
Meinem Verständnis nach versteht KW das reine Bewusstsein jenseits der Dualität, in dem keine Objekte aufsteigen, als die höchste Wirklichkeit, die er auch als Gott bezeichnet. Für die Rosenkreuzer ist die intuitive Erfahrung des Bewusstseins die Ebene der "Kosmischen Jungfrau Maria", die als "Heiliger Geist", vom göttlichen Standpunkt aus, das zweite Angesicht der Trinität bildet. Von RS wird diese Ebene als Geistselbst bezeichnet, KW verwendet ebenfalls, wenn er vom reinen kosmischen Bewusstsein spricht, den Begriff Geist selbst.
Eine Frage der Deutung
Wie kann es sein, dass KW aus seinen Erfahrungen meint folgern zu können, "dass wir zu Recht von der transzendierenden Einheit der Religionen und der Einmütigkeit der ursprünglichen Wahrheit sprechen können?" Wie kommt er zu einer solchen Bewertung? Und verschweigt oder erwähnt nur einfach nicht, dass dies seine Deutungen und Bewertungen sind. Also - die KW erzeugt. Genau so wie ich all mein Geschriebenes hier in mir (frischfröhlich :)) ) erzeuge. Also noch einmal: Ich erschaffe, gebe meinen Gedanken Form und Gestalt, ich erzeuge meine Wahrheit und nicht die Wahrheit. Und merke: Genau in dieser Reihenfolge - zuerst erzeuge ich und dann spreche ich meine Wahrheit.
KW bekennt sich zu einer integralen Sichtweise und zugleich kann er als Mensch nicht frei von einem angenommenen Standpunkt sein in Bezug auf Sichtweise, Verständnis und Zuordnung. KWs geistige Wurzeln liegen in der östlichen Spiritualität, besonders was seine Meditationspraxis betrifft - im Zen-Buddhismus.
Diesen eingenommen Standpunkt meine ich, in all seinen Büchern als Hintergrund seiner Weltbetrachtung zu erkennen und dieser wird dadurch, dass er vermeintlich alle Richtungen behandelt, nicht aufgehoben. Einer der Gesichtspunkte (im ersten Teil meiner Ausführungen) ist, dass - obwohl das Bewusstsein intuitiv jenseits des Saturn, des Hauptes, zu realisieren ist - darin dennoch nur ein Tor der Bewusstseinsentfaltung durchschritten wird, welches dann zur kosmischen Entsprechung des Hauptes selbst führt. KW führt aus, wie im kosmischen Bewusstseinsraum, mit dem er sich im Geist identisch wahrnimmt, die Galaxien entstehen und vergehen.
Es erscheint mir, als ob man mit KW in ein großes kosmisches Haupt hineinblickte. Dieses sind wir zwar selbst, wir erfahren uns aber in ihm vollkommen allein, so wie in unserem eigenen Haupt. In der Leere des Hauptes werden alle Gedanken erschaffen und vergehen wieder, im Kosmos kommen und gehen die kosmischen Gedanken Gottes. Wir werden dieser Gedanken als Zeuge zwar gewahr, können sie jedoch auf dieser Ebene weder in ihrem Kern noch in ihrem Wollen erfassen.
Im Selbstverständnis einer christlichen Spiritualität ist eine solche Erfahrung Bedingung , um sich der nächsthöheren Ebene, dem Christuswesen als der Schöpferkraft selbst, zu nähern. KW meint, dass jeder Mensch, unabhängig von seinen Voraussetzungen, die von ihm beschriebene Erleuchtung (ich nenne es Erwachen, Erwachen zu sich selbst), erfahren kann. Im Gegensatz dazu ist eine Annäherung an die nächsthöhere Ebene des Christus unmittelbar mit einer grundlegenden Umwandlung des Menschen verbunden. Meinem Verständnis nach versteht KW die Schöpfung als das Ergebnis eines sich langweilenden Gottes, der zu seiner Unterhaltung die polare Welt von Leid und Glück erzeugt. Das würde bedeuten, dass der Mensch die polare Welt zu überwinden sucht, um den einen Gott zu finden, der wiederum aus Langeweile die polare Welt erschafft. Ich sage, dass der Sinn nicht auf dieser Ebene des Bewusstseins zu finden ist.
Christus, der Sohn Gottes
Mir scheint es, dass KW die Ebene des Christus, in der sich den Rosenkreuzern und auch RS der Sinn zu erschließen beginnt, offensichtlich nicht kennt. So kann er auch der Bedeutung des Christus als Sohn Gottes nicht gerecht werden. Ich meine, die Rosenkreuzer versuchen sich dem Mysterium der Menschwerdung des Göttlichen zu nähern, indem sie mit einer erweiterten Sichtweise die Evolution der Erde betrachten. In dieser Sichtweise atmet der Göttliche Punkt sich aus und in dem Moment, in dem er die größte Gottesferne erreicht hat, leuchtet ER als ICH wiederum im Umraum auf. So beobachten die Rosenkreuzer das göttliche Licht, welches sich im Menschensohn Jesus verdichtet und dann für alle Menschen als das Christus-Ich aufleuchtet. Diese Verdichtung ereignet sich durch Involution, einem sich-Ein-rollen, sich Ein-wickeln des Lichts. Aus dieser Perspektive betrachtet ist dieses Ereignis nicht nur ein individuelles, sondern ein die ganze Erde betreffendes und auf diesem gründen sich die tiefsten Erkenntnisse und Einsichten der christlichen Spiritualität.
„Ich will Ihnen sagen, was ich glaube. Für mich sind die Weisen die wachsende Spitze des geheimen Impulses der Evolution. Für mich sind sie die Speerspitze des Drangs zur Selbsttranszendenz, die immer über dasjenige hinausgeht, was vorher war (...) Ich glaube, dass sie auf einem Lichtstrahl sitzen, der der Begegnung mit Gott entgegeneilt.“
KW nähert sich mit dieser Anschauung der Perspektive der christlichen Spiritualität, in der der Mensch zuerst das Bewusstsein, die Sophia, sucht, um dann durch die darin gewonnene Weisheit sich mit dem Licht des Christus zu durchdringen. In KWs Ausführungen sind meines Erachtens diese zwei angesprochenen Ebenen in ihrer Qualität und ihrem Verhältnis zueinander nicht ausreichend differenziert.
„Du erkennst dein eigenes wahres Antlitz im Spiegel des Kosmos selbst: Deine Identität ist wahrhaftig das Weltall, und du bist nicht mehr Teil dieses Stroms, du bist dieser Strom in einem Weltall, das sich nicht um dich, sondern in dir entfaltet (...). Es gibt hier kein endgültiges Ganzes mehr, nur ein endloser Prozess, und du bist die Öffnung, die Richtung oder die reine Leerheit, in der sich der ganze Prozess entfaltet - endlos, wunderbar, unaufhörlich, leicht (...) Im Schock der plötzlichen Erkenntnis des ganz Offensichtlichen siehst du dein eigenes ursprüngliches Antlitz, das du vor dem Urknall hattest, das Antlitz der äußersten Leerheit, die als die ganze Schöpfung lächelt und der ganze Kosmos singt und es bleibt nichts zurück als das Lächeln und die Spiegelung des Mondes auf einem stillen Teich, tief in einer kristallklaren Nacht.“
KW kommt immer wieder auf seine Vorstellung des Bewusstseins als das Fundament zurück. In einer mir bildlichen Entsprechung bildet das Meer den Lebensraum, der einfallende Lichtstrahl hingegen den Keim zum Leben. In der Abbildung des grünen Löwen erkenne ich das von KW benutzte Bild wieder: und es bleibt nichts zurück als das Lächeln und die Spiegelung des Mondes auf einem stillen Teich. Die Rosenkreuzer drücken das gleiche Erleben, jedoch mit einem erweiterten Verständnis, aus. Für sie ist das reine Bewusstsein, das sich als Mond, dem Symbol der Raumesweisheit, im stillen Wasser spiegelt, nicht der letzte Grund. Dieser ist erst die Voraussetzung, um sich mit dem Christuslicht zu vereinen, was durch den grünen Löwen, der die Sonne verschlingt, dargestellt wird. Die Weisen (Mond) verwandeln sich durch die innere Aufnahme und Verbindung mit dem Christuslicht (Sonne) , um dann, wie KW glaubt auf einem Lichtstrahl zu sitzen und der Begegnung mit Gott entgegen zu eilen.
Jungfrau und Weib zugleich
In seinen Büchern nimmt KW Bezug zu ME, er beschreibt den Weg des Entwerdens als auch die daraus entstehende Sphäre der Ungeborenheit, die jungfräuliche Unberührtheit des Bewusstseins. ME bezeichnet einen solchen Menschen als eine Jungfrau, die den Christus empfängt.
„Der von allen Bildern ledig ist, so ledig, wie er war, da er noch nicht war.“
KW bezeichnet einen solchen Menschen als den einen Gott. ME versteht also das Bewusstsein nicht als ein Ziel, an dem man verweilen sollte. Denn sollte der Mensch das tun,
„So käme keine Frucht von ihm. Soll er fruchtbar werden, so ist es notwendig, dass er Weib sei. Dass der Mensch Gott in sich empfängt, das ist gut, und in dieser Empfänglichkeit ist er Jungfrau. Dass aber Gott fruchtbar in ihm werde, das ist besser; denn fruchtbar werden der Gabe, das allein ist die Dankbarkeit für die Gabe, und da ist der Geist Weib in der wieder gebärenden Dankbarkeit.“
Hier zeigt sich der wesentliche Unterschied zwischen dem Verständnis und der Zuordnung des Geistes durch KW und durch die christliche Spiritualität. In dieser nähert der Mensch sich der Sophia, dem Bewusstsein, indem er auf dem Weg der Entwerdung alle Kleider ablegt und nackt vor dem Tor steht. Doch um vor das Angesicht Christus zu treten, ihn mit unserem Wesen zu umarmen, kann der Mensch seine Kleider wieder anziehen, er kann kommen, wie er ist.
Dem Weg KWs der Entwerdung vermag ich zu folgen. Sein Verständnis und die Zuordnung seiner Erfahrung kann ich jedoch nicht nachvollziehen. Mir bleibt der Eindruck, dass KW zwar von der Sphäre jenseits des Saturn spricht, jedoch vor dem zweiten Tor des Herzens und der damit einhergehenden Erfahrung der wesenhaften Qualität stehenbleibt. Ohne den Anspruch einer Behandlung des ganzen KWs, möchte ich seine (mir verständliche) zentrale Erfahrung des Bewusstseins und deren Zuordnung aufzeigen - um dadurch dem Verständnis der integralen Sichtweise näher zu kommen..
Denn, wenn wir in dem passiven Zeugen-Bewusstsein als letzte Wirklichkeit verweilen, dann sind alle Erscheinungsformen darin von gleichem Wert, sind nur Illusionen auf der Leinwand des Bewusstseins. KW versteht seine ersten Arbeiten, die Ausdruck seines individuellen Weges sind, selbst als teilweise überholt. Die Arbeit RSs hat für mich von Anfang an mehr den Charakter einer aus der unmittelbaren Anschauung hervorgehenden Erkenntnis.
Unvergleichlich
So ist in meinen Augen die Anthroposophie nicht mit der Vision KWs zu vergleichen. KW entwirft Modelle, unter anderem eine der größten Meta-Landkarten des menschlichen Bewusstseins, RS legt aus seiner Weisheit heraus Keime der Qualität in den Strom der Evolution. Das Selbstverständnis und die Wirkungsebenen sind sehr unterschiedlich, was KW selbst zum Ausdruck bringt:
„Das Beunruhigende dabei ist ja, dass jede Erkenntnis der Tiefe mit einer schweren Bürde befrachtet ist: Wer in den Genuss der Erkenntnis kommt, ist zugleich mit der Pflicht beladen, diese Schau unmissverständlich mitzuteilen: Das ist der Pakt (...). Und dies ist wahrhaft eine furchtbare Last, denn hier ist kein Platz für Ängstlichkeit. Die Möglichkeit, dass man sich irren könnte, gilt nicht als Entschuldigung. Vielleicht kündet man etwas Falsches - es kommt nicht darauf an.“
Hier offenbart sich mir eine Haltung, die meines Erachtens auf der Ebene der persönlichen Entwicklung ihre Berechtigung haben mag, doch nicht mit der Dimension des Wirkens RSs verglichen werden kann. In meinen Augen könnten KWs Vorstellungen durch die Anthroposophie eine Erweiterung erfahren, während die Anthroposophie nur durch Reduzierung und damit den Verlust ihrer eigentlichen Qualität und ihres in ihr liegenden Willens in KWs Vorstellungen integriert werden kann.
Lieber Mensch, ich hoffe, du hattest ein wenig Vergnügen an dieser zugegeben etwas schweren Kost. Wie immer freue ich über deine Anmerkungen, Hinweise oder Fragen. Gestern habe ich begonnen zu schreiben und in der Morgendämmerung des Sonntags entstehen diese letzte Zeilen.
Unseres Lebens Flamme ist dann entzündet
Ich meine, das EINE strebt nicht nach mir, aber ich strebe nach IHM. Manchmal singe ich falsch, treffe den Ton nicht ganz. wende ich mich aber zu IHM, singe ich schön und bin verbunden. Das EINE hebt und trägt mich immer, solange es ist, was es ist. Lieber Mensch, du bist nicht allein, geh´raus, schau dich um. Das EINE will DICH in deiner Einzigartigkeit. Schieb´ dein Erwachen nicht hinaus. Springe mutig. Wenn du einmal vom Erwachen kosten durftest, dann wisse, der Kampf ist nicht vorbei. Trainiere dein Schwert der Achtsamkeit täglich. Jedes Mal, wenn eine Illusion verbrennt, strahlt dein wahres Wesen klarer und stiller in dieses Leben hinein. Übrig bleibt das Eine, das nicht berührt werden kann. Das sanfte Lächeln eines wilden, zur Ruhe gekommenen Herzens. Geh´deinen Weg. Der Ruf ist immer da. Laut oder leise. Jetzt.
Herzlichst, Ihre und deine